Anlässlich des am Sonntag, den 04.07.2010 stattfindenden Jubiläumsspiels gegen den FC St. Pauli werfen wir einen Blick auf die Neumünsteraner Fanszene: führende Mitglieder des VfR-Fanclubs Schwalefront gehören der Neonaziszene an, einer ist sogar Mitglied bei den Bandidos-Unterstützern Contras Neumünster. Wie reagiert der Verein auf diese Situation?
Bei Spielen des VfR Neumünster gab es schon früher Probleme mit Rechtsextremen. So wurden am 14.10.2001 beim Spiel gegen die St. Pauli-Amateure mehrere Personen von der Polizei verhaftet, weil sie im Stadium immer wieder rechtsradikale Parolen gerufen hatten. Auch lokale Neonazigrößen wie der damalige NPD-Landesvorsitzende Peter Borchert waren am gleichen Tag an Übergriffen auf St. Pauli-Fans beteiligt. Der aus dem Umfeld der Club 88-GründerInnen stammende Mike Denz pflegte europaweit Kontakte zu rechten Hooligans und geriet 1996 anlässlich des Fußball-Länderspiels zwischen Polen und Deutschland in Zabrze dadurch in das Blickfeld der Medien, dass er mit anderen vermeintlichen Fans neben einem „VfR-Szene Neumünster“-Transparent ein weiteres mit der auf den Holocaust anspielenden Aufschrift „Schindler-Juden Wir grüßen euch“ präsentierte (s. Photo links; das VfR-Transparent wird tw. von den Polizisten verdeckt).
Insgesamt spielten Rechtsextreme damals aber keine strukturell wichtige Rolle. Das scheint sich zu ändern. Neben dem VfR-Fanclub Die Treuen, der ca. 40 Mitglieder hat und über eine geregelte Struktur mit Vorsitzenden etc. verfügt, existiert die Schwalefront. Diese war bereits kurz nach ihrer Gründung 2003 in Kritik geraten: besonders umstritten war schon die Namensgebung, die „ja in Anbetracht der deutschen Geschichte mal gar nicht gehen sollte“, wie die Schwalefront selber auf ihrer Homepage resümiert. Als eines der Gründungsziele geben sie den Wunsch an, die „supportwilligen Leute einer Szene zu einem festen Kern zuformen [sic!]“.
Zu den treibenden Kräften gehörte bald der Schüler Manuel L., der im Stadion gerne auch Klamotten des rechtsextremen Labels „Thor Steinar“ zur Schau stellt und der für sein Profilbild des Internetforums studivz (siehe Abbildung rechts) in Manier der „Autonomen Nationalisten“ posierte, d.h. komplett schwarz gekleidet, inklusive Sonnenbrille und schwarzen Lederhandschuhen. Inzwischen wandelt er sogar den Spuren von Peter Borchert und trägt seit diesem Jahr in seiner Freizeit ganz offen die Kutte der Contras Neumünster, dem Unterstützerverein des verbotenen Chapters der Bandidos. Aus seiner Mitgliedschaft bei den Contras, die durch enge Verstrickungen aus Rockermilieu und Neumünsteraner Neonaziszene bekannt sind, macht L. auch im Internet keinen Hehl. Das Wappen (Photo rechts), das bei einigen der Kutten auf dem Rücken prangt, zieren verschiedene Waffen: eine Machete, ein Schlagring und zwei Pistolen – dass die Rocker die auf diese Weise signalisierte Gewaltbereitschaft auch Praxis werden lassen, hat jüngst der „Rockerkrieg“, der auch Neumünster erfasste, belegt. Wie oft in der Hooligan-Szene zu beobachten, ist L. im Berufsleben eher unauffällig: nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann, die er teilweise in Hannover absolvierte und im Februar 2009 beendete, arbeitete er für die Volks- und Raiffeisenbank Neumünster. L., der in der rechtsextremen Kampfsportschule Athletik Klub Ultra trainiert, hat die Entwicklung der Schwalefront zu großen Teilen beeinflusst: Neben hohen Alkoholkonsum („Suff ohne Ende“, wie sie selber auf ihrer Homepage schreiben) geben sie sich aggressiv, so wie unten auf dem Bild einer ihrer Busreisen zu Auswärtsspielen zu sehen. L. und seine Kameraden präsentieren die Faust als Zeichen der Kampfbereitschaft, im Hintergrund ist im Heckfenster des Busses eine Fahne von Troublemaker Streetwear zu sehen, die z.B. von der Bundeszentrale für politische Bildung als rechte Hooligan-Marke eingeordnet wird. Die Abkürzung „A.C.A.B.“ steht für „All Cops are Bastards“, also „Alle Bullen sind Schweine“.
Um im Stadion Stimmung zu machen, setzte die Schwalefront neben denkwürdigen Spruch-bändern wie „Altonas Cops auf Bustour“ oder „Klassenerhalt mit aller Gewalt“ (Photo unten) verstärkt auf so genannte Bengalos, also Feuerwerkskörper. Als herausragende „Pyroshow“ bezeichnen sie im Internet die Aktion beim Heimspiel gegen den SV Wilhelmshaven in der Saison 2004/2005, als „das komplette Stadionrund brannte“. Beim Auswärtsspiel in Heide im Oktober 2009 machten die VfR-Fans so viel Stress, dass sie von der Polizei zum Bus eskortiert werden mussten- der Courier berichtete, was die Schwalefront als „Propaganda“ bezeichnete. Die Spielberichte, die auf ihrer Homepage veröffentlicht werden, enthalten viele Elemente der gewaltverherrlichenden Hooligan-Sprache: beim Spiel gegen Büdelsdorf in der Saison 2007/2008 ist von „Party, geile Stimmung, durchgehender Hass“ die Rede, in Bezug auf die Partie in Kropp von „Mobaction und Zündeln“.
Dem Verein sind die Ausfälle dieses Fanclubs nicht verborgen geblieben: Im VfR-Forum musste der Administrator den Thread zum Thema „Demo zum Erhalts des AJZs heute (15.07.2008)“ schon einen Tag nach der Eröffnung wieder schließen, da sehr fremdenfeindliche und rechtsextreme Meinungen gepostet wurden, und der Administrator zu dem Schluss kam, dass die vermeintliche Diskussion eher Schaden anrichte als weiterhelfe. In diesem Forum tritt auch Manuel L. auf, und zwar unter dem Pseudonym „SF-Manuel“. Seine Signatur, mit der automatisch alle seine Posts ergänzt werden, lautet angelehnt an einen Slogan der NPD „All Cops are Bastards- Kampf, Aktion und Widerstand“.
Dennoch scheinen die neonazistischen Strukturen im Verein zwar nicht auf Akzeptanz, doch zumindest auf Toleranz zu stoßen. So wurde Manuel L. 1. Meister der VFR-Liga-Fans, einer Tippgemeinschaft, an der sich auch einige Treue beteiligen. Mitglied bei den Treuen ist auch Horst Micheel, der Wirt der Neonazi-Kneipe Titanic, dessen Sohn Björn ebenfalls enge Kontakte zu den Neumünsteraner Contras pflegt. Am 26.06.2010 organisierte Horst Micheel, der in der Vergangenheit selber bei Neonazidemonstrationen mitmarschierte, ein Amateur-Fußballturnier auf den Plätzen des VfR Neumünster, für das sowohl im VfR-Forum als auch in der Titanic geworben wurde.
Zwar ziert ein Netz-gegen-Nazis-Symbol die offizielle Homepage des VfR Neumünsters und konkrete Maßnahmen zur Lösung des Problems wurden angekündigt, über halbherzige Lippenbekenntnisse ging das Engagement bisher aber nicht hinaus. Andere Vereine sind dem VfR in dieser Hinsicht weit voraus, wie etwa der Gegner des an diesem Samstag stattfindenden Jubiläumsspiels, der FC St. Pauli. Neben dem Stadionverbot für neofaschistische Klamottenmarken wie Thor Steinar engagiert sich der Club in vielen verschiedenen antirassistischen Projekten, was gerade in einer Stadt wie Neumünster, in der Neonazis über eine weit gefächerte Infrastruktur verfügen und die von Spiegel TV vor einigen Jahren zur „neuen Hauptstadt der Bewegung“ gekürt wurde, enorm wichtig wäre. Der Verein muss nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten unterstreichen, dass er nichts mit Neonazis oder der organisierten Kriminalität der Bandidos zu tun hat, wenn er seiner Verantwortung als so bedeutender Verein Neumünsters nachkommen möchte. Stillschweigende Toleranz neonazistischer Umtriebe in den eigenen Strukturen ist auf jeden Fall das falsche Signal.