Lange Zeit herrschte die Meinung vor, dass in Neumünster anlässlich der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 „nicht allzu viel passiert“ sei [1]. Das Ausmaß des Terrors erscheint gemessen an den Geschehnissen in anderen Städten begrenzt, was aber einfach darauf zurückzuführen ist, dass es in Neumünster keine Synagoge gab (in Segeberg bestand der Vorstand der Synagoge im Jahre 1938 aus drei Neumünsteranern [2]), die die Nazis in Brand hätten stecken können, und es zudem wegen der weitgehend umgesetzten „Arisierung“ zu diesem Zeitpunkt kaum noch Menschen jüdischen Glaubens in der Stadt an der Schwale gab. Bereits unmittelbar nach der Machtergreifung 1933 begannen in Neumünster antisemitische Aktionen:
So wurde im „Holsteinischen Courier“ schon am 31.3.1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen [3], 1935 veranstaltete die SA eine antisemitische Kundgebung mit zwanzig LKWs in der Innenstadt [4], usw. Nichtsdestotrotz bleiben die Novemberpogrome 1938 in Neumünster abscheulich: Jüdische Geschäfte wurden zerstört, Familien aus dem Schlaf gerissen und misshandelt, das Inventar ihrer Wohnungen kurz- und kleingeschlagen, Scheiben eingeschlagen, alle jüdischen Männer verhaftet. Die Verhafteten wurden tagsüber in einem Prangerumzug durch die Stadt getrieben, [5] mit Schildern um den Hals mussten sie durch die Holstenstraße auf den Großflecken ziehen [6].
Die Männer wurden für die Dauer einiger Monate im KZ Sachsenhausen interniert, Ende 1939 verblieben nur ein knappes Dutzend jüdische Einwohner in Neumünster [7], 1938 waren es noch rund doppelt so viele gewesen. Von diesen 21 Menschen jüdischen Glaubens, die 1938 in Neumünster gemeldet waren, überlebten nur fünf den Holocaust [8]. Gemessen an diesem Schicksal erscheinen die Strafen für viele der Verwantwortlichen für den Holocaust nahezu lächerlich: Herbert Hagen aus Neumünster, ein Vertreter der jungen antisemitischen SS-Generation, die die „Lösung der Judenfrage“ planten und maßgeblich an ihrer Realisierung mitwirkten, kam nach dem Krieg bereits nach vier Jahren wieder auf freien Fuß. [9]
Quellen:
[1] http://www.shz.de/lokales/holsteinischer-courier/rundgang-gegen-das-vergessen-id249774.html
[2] Friedrich Gleiss: Jüdisches Leben in Segeberg vom 18. bis 20. Jahrhundert: gesammelte Aufsätze aus zwei Jahrzehnten mit über 100 Fotos und Dokumenten. BoD – Books on Demand, 2002, S. 162.
[3] http://www.nms-bunt-statt-braun.de/121.html#c349
[4] http://www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/m-o/1413-neumuenster-schlewig-holstein
[5] http://www.shz.de/lokales/holsteinischer-courier/rundgang-gegen-das-vergessen-id249774.html
[6] http://www.nms-bunt-statt-braun.de/arisierung.html
[7] Bettina Goldberg: Abseits der Metropolen: die jüdische Minderheit in Schleswig-Holstein. Wachholtz, Neumünster 2011, S. 445.
[8] Gleiss 2002, S. 162.
[9] http://www.akens.org/akens/texte/info/33/333407.html