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Neumünster

[NMS] „Skandal und doch normal“: Die Famous-Debatte, die Polizei als kein Freund und Helfer und Zombies im Shopping-Center


Neumünster, von manchen liebevoll „der Osten des Nordens“ genannt, macht mal wieder Schlagzeilen. Während anderswo der Präsident des Bundesligavereins Eintracht Frankfurt, der Evangelische Kirchentag oder der Arbeiter-Samariter-Bund den Dialog mit der AfD verweigern (*1), wird in Neumünster sogar militanten Nazis und „rechten Rockern“ der rote Teppich ausgerollt. Am letzten Samstag durften „Bandidos“ um den ehemaligen NPD-Landesvorsitzenden Peter Borchert in der Holstengalerie, dem größten Shopping-Center in Neumünsters Innenstadt, ein Tattoo-Studio eröffnen, obwohl Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit am Tag zuvor in der taz noch auf die Umtriebe der Betreiber hingewiesen hatte (*2).

„Sie machen Mode und Musik / Langweilen uns nicht mit Politik / Das Rechte ist so was von schick / Wie naiv kann man nur sein?“ Ärzte-Schlagzeuger Bela B warnte in seinem ironischen Lied „Deutsche, kauft nicht bei Nazis“ (*3) vor eben den Entwicklungen, die in der Stadt an der Schwale gerade zu beobachten sind. Denn trotz der – wie Andreas Speit betonte – mehrmonatigen, intensiven taz-Recherchen, die in menschliche Abgründe blickten und die rechten und kriminellen Hintergründe des „Famous Tattoo & Lifestyle Store“ detailliert aufdeckten, schlug die Meldung zwar augenblicklich hohe Wellen, provozierte aber auch erstaunliche Reaktionen.

Die Lokalredaktionen der shz (*4) und der Kieler Nachrichten (*5) griffen die Themen auf und berichteten recht ausgewogen, KN-Redakteur Thorsten Geil kommentierte lediglich im Nebensatz, der taz-Artikel stecke „voller Mutmaßungen“ – was dann die Center Managerin der Holstengalerie, Mailin Huljus, blumig ausschmückte. Nachdem sie schon den Zeitungen gegenüber angegeben hatte, der Tattoo-Laden mache ihr Shopping Center „bunter“ und werde von „netten und kreativen Menschen“ geführt, negierte sie in einem Interview mit dem Freien Radio Neumünster (*6), dass die Betreiber etwas mit den „Bandidos“ oder mit Nazis zu tun hätten und formulierte sogar die These, dass der taz-Artikel „nicht richtig recherchiert“ sei und vielleicht eher auf „befürchteter Konkurrenz“ beruhe als auf Fakten.

Der Runde Tisch für Toleranz und Demokratie antwortete in einer Pressemitteilung, dass braun nicht bunt sei und rechte Rocker keine Bereicherung für die Neumünsteraner Innenstadt darstellen würden (*7). In dem Radio-Interview wurde Huljus gefragt: „Finden Sie es kreativ, wenn man zu jemandem sagt: ‚Ich zerschneid dir das Gesicht und versenk dich in der Förde‘?“ – diese Frage spielt auf den ehemaligen Präsidenten der Bandidos Neumünster an, der wegen Menschenhandels und Zwangsprostitution verhaftet worden war (*8). Die Center Managerin zog sich in ihrer Verteidigungshaltung darauf zurück, dass die organisierte Kriminalität der „Bandidos“ und auch die extrem rechten Aktivitäten Borcherts, der u.a. die „Combat 18“-Terrorzelle, gegen die es Anfang der 2000er Razzien in Neumünster gegeben hatte, mit Waffen beliefert hatte, „Privatangelegenheit“ seien, sie hingegen sei nur an Geschäften interessiert. „Ich recherchiere so, dass ich die Betroffenen selbst befrage,“ sagte sie abschließend – mit Betroffenen meint sie hier nicht etwa die Betroffenen von Zwangsprostitution oder die AnwohnerInnen des bisherigen Standorts von „Famous“, die von Borchert und seinen Kameraden bedroht worden waren, sondern die Nazirocker selber, die ihr wenig überraschend versichert hätten, sie seien gar keine Nazirocker.

Was für einen Unsinn sie da redet, ist ihr wahrscheinlich selbst bewusst, was auch an ihren nervösen Reaktionen im Interview deutlich wird. Denn um festzustellen, dass Speit mit seinen Vorwürfen recht hat, reicht eine einfache Internet-Suche. Das hat auch Courier-Journalistin Dörte Moritzen festgestellt und in ihrem Artikel aufgezeigt: Auf der Homepage des Tattoo Shops wird der in der taz genannte Matthias Stutz tatsächlich als angestellter Mitarbeiter im Bereich Shop Management aufgeführt. Stutz‘ öffentlich einsehbares Facebook-Profil liefert allerhand Hinweise auf rechte Rockerstrukturen, ein Photo zeigt ihn neben Peter Borchert, beide in Kutte bzw. mit „Bandidos“-Patches (s. Bild 2).

Moritzen schreibt weiter, Stutz habe „als ‚Bandidos‘-Mitglied im Mai 2016 mit weiteren Beteiligten einen Kontrahenten der konkurrierenden „Hells Angels“ in Dägeling (Kreis Steinburg) niedergestochen […]. [Stutz] wurde dafür im Herbst 2017 vom Amtsgericht Itzehoe verurteilt.“ (*4) „Im Zweifel ist es ein paar Tage her“, rechtfertigt sich Huljus und meint in einem Anflug von Humor mit ein „paar Tagen“ ein paar Jahre – ein anderes Bild zeigt Stutz jedoch wirklich vor ein paar Tagen bei der Eröffnung des neuen Shops in der Holstengalerie Arm in Arm mit Bernd Pries, dem Präsidenten der Bandidos Padborg (s. Bild 3).

Auch die angebliche Mutmaßung, dass Peter Borchert der eigentliche Kopf hinter „Famous“ sei, konkretisiert Speit, der die extrem rechte Szene in Neumünster seit Jahrzehnten beobachtet, auf Nachfrage des Freien Radios noch einmal. (*6) Nicht nur, dass Borchert, der angeblich keinerlei Beziehung zu „Famous“ habe, regelmäßig im Shop in der Holstenstraße anzutreffen war, hier ans Telefon ging, als einziger Mitarbeiter Fragen beantworten konnte und es selbst in die Hand nahm, Kritiker*innen aus der Nachbarschaft zu bedrohen – auch im Netz antwortete Borchert auf Nachfragen an die offizielle „Famous“-Seite von seinem privaten Account und benutzte dabei das entlarvende Personalpronomen „wir“ (s. Bild 4). Aber in einer auf dem rechten Auge blinden Geschäftswelt hat natürlich alles mit nichts zu tun.

Dass Huljus, Vertreterin des Hamburger Betreibers von Einkaufszentren ECE (European Shopping Centre), in ihrer Neumünsteraner Holstengalerie, hinter der ein Investitionsvolumen von 145 Millionen Euro steckt, rein profitorientiert arbeitet, sich Zombies, die zum Shoppen jegliche Kritik ausblenden, als KundInnen wünscht und für maximale Konsumanreize auch auf ethische Standards verzichtet, ist keine Überraschung. Der Rolling Stone warnte jedoch in einer Rezension über George Romeros Zombie-Film „Day of the Dead“, der nicht zufällig in einem Shopping Center endet, wozu so eine Haltung führt: „Das Angebot verändert die Persönlichkeiten […] Der Wohlstand blendet die Gefahren jedoch nur aus.“ (*9)

Ironischerweise wird von den Skeptiker*innen als angeblicher Beleg dafür, dass die Vorwürfe gegen „Famous“ haltlos seien, auch die Polizei zitiert. Also die Stelle, deren Glaubwürdigkeit durch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zu den Vorgängen um die „Soko Rocker“ unlängst massiv erschüttert wurde. Schon 2017 hatte das antifaschistische Rechercheportal „la QUiMERA“ in Hinblick auf die Verwicklungen, im Rahmen derer sich u.a. mit NPD-Politiker Horst Micheel befreundete PolizistInnen im Hinterstübchen der Nazikneipe „Titanic“ mit Nazirockern getroffen hatten, resümiert: „Insgesamt scheint sich rund um die Neumünsteraner Neonazi- und Rockerszene ein Sumpf gebildet zu haben, in dem auch Polizist_innen fleissig mitmischen. Durch finanzielle und freundschaftliche Verbindungen zwischen Rockern und der Polizei werden bestimmte Ermittlungen vorangetrieben und andere unterschlagen.“ (*10) Für Aufsehen sorgte im PUA dann vor allem, dass im Auto von Peter Borchert streng vertrauliche Unterlagen der Polizei gefunden wurden, die auch sensible Personendaten enthielten (*11). In der Sendung des Freien Radios Neumünster provozierte das die Bemerkung eines Moderators, „wenn die Polizei sensible Daten an Rocker herausgibt, muss man sich nicht wundern, wenn Betroffene schweigen“, Andreas Speit empfahl dann folgerichtig auch, sich stattdessen an Beratungsstellen für Betroffene zu wenden (*6). Daraus dann abzuleiten, dass es „keine Auffälligkeiten vom bisherigen Standort“ gäbe, wie die Pressestelle des Landeskriminalamtes (LKA) in Kiel es gegenüber Dörte Moritzen tat (*4), erscheint uns wie eine self-fulfilling prophecy, die im krassen Gegensatz zur von der Landespolizei erklärten „Null-Toleranz-Strategie“(*12) steht. In Neumünster gab es von AnwohnerInnen des Famous-Shops in der Holstenstraße durchaus Hilfegesuche an die Polizei – was allerdings ausblieb, war die erhoffte Unterstützung, was für uns den eigentlichen Skandal an der ganzen „Famous“-Debatte darstellt. Wieder einmal zeigt sich: Polizei, kein Freund und Helfer!

In Neumünster scheint dieser Skandal aber als „normal“ empfunden zu werden, halten sich die Proteste doch bisher in Grenzen. Was könnt ihr tun? Behaltet die Aktivitäten der Nazirocker im Auge, beschwert euch beim Holstengalerie-Betreiber ECE über eine Verletzung des Verhaltenskodex (*13), bewertet gerne auch die Position von Holstengalerie-Managerin Huljus auf deren Social Media-Präsenz (*14), verbreitet diesen Artikel – und bleibt dran: Naziläden dichtmachen, kein Fame für „Famous“!

Quellen:
*1: https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2019/Umgang-mit-der-AfD-Schluss-mit-Verstaendnis,afd2310.html
*2: https://taz.de/Rechtsextreme-etablieren-sich/!5600206/
*3: https://www.youtube.com/watch?v=PcRouDQzV5s
*4: https://www.shz.de/lokales/holsteinischer-courier/rechte-und-rocker-jetzt-in-neumuensters-bester-lage-id24309522.html?fbclid=IwAR3AUEN86zJ7ZvNaMzh6YkTQ3_fluHfy8LfEyO1inf_ibpUghHhhd9x8RZk
*5: https://www.kn-online.de/Lokales/Neumuenster/Aufregung-um-Tattoo-Studio-in-der-Holsten-Galerie-Neumuenster?fbclid=IwAR2HDwX9OM_bcHUKLXO0UVHh4aI35_8YIRlweJ3AgBDVjNmz4XBpuFaiCzY
*6: https://freiesradio-nms.de/2019/rechter-tattoo-laden-in-der-holstengalerie/
*7: https://twitter.com/AntifaNMS/status/1141667088236457984
*8: https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/panorama/von-bandidos-chef-zur-prostitution-gezwungen-id571631.html
*9: https://www.rollingstone.de/dawn-of-the-dead-zombie-364325/
*10: https://quimera.noblogs.org/2017/hintergrunde-zum-polizeiskandal-in-schleswig-holstein/
*11: https://www.kn-online.de/Nachrichten/Schleswig-Holstein/Rocker-Affaere-Vertrauliche-Polizei-Papiere-in-Rocker-Auto
*12: https://www.kn-online.de/Nachrichten/Schleswig-Holstein/Kriminalitaet-Rocker-weiter-im-Fokus-der-Polizei
*13: https://www.ece.com/fileadmin/PDF_deutsch/Guidelines und Codexe/ECE_Verhaltenskodex.pdf
*14: https://www.facebook.com/pg/holsten.galerie.neumuenster/reviews